Partnerin Annika Zawadzki engagiert sich im LGBT-Netzwerk Pride@BCG bei der Boston Consulting Group (BCG)
Annika Zawadzki ist Partnerin im Kölner Büro von BCG und Autorin der internationalen Studie „Out@Work“ der Boston Consulting Group, für die weltweit mehr als 4000 junge Berufstätige und Student:innen unter 35 Jahren befragt wurden. junior //consultant unterhielt sich mit der 42-Jährigen, die die Financial Times im vergangenen Jahr unter die Top 50 LGBT+ Future Leaders wählte.
Frau Zawadzki, können Sie uns etwas über das LGBT-Netzwerk Pride@BCG erzählen?
Das BCG-Netzwerk Pride@BCG entstand vor zwanzig Jahren in den USA als Bottom-up-Initiative. In den USA waren damals Diversity-Netzwerke mehr etabliert als in Europa. Es ging erst einmal darum, eine Plattform zu schaffen, auf der sich Mitarbeiter:innen treffen und vernetzen können, um sich gegenseitig zu Themen rund um den Job und die mit LGBTQI (Lesbian, Gay, Bi, Trans, Queer und Intersex) verbundenen Herausforderungen auszutauschen. Das Netzwerk wurde von Beginn an von der BCG-Führung unterstützt und gefördert.
Wie kam es dazu?
Wir bei BCG sind der Ansicht, dass Diversity ein entscheidender Faktor ist, um im Beratungsgeschäft weiter erfolgreich zu sein. Probleme werden komplexer und man muss sie aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Diversity umfasst Herkunft, Geschlecht, Studien- oder Berufshintergründe und auch LGBTQI. Mit dieser tiefen Überzeugung hat sich die einstige Mitarbeiterinitiative zu Pride@BCG, einer globalen Leadership-Initiative bei BCG, entwickelt.
Gestartet mit Mentoring, Netzwerktreffen und Coaching-Sessions auf individueller Basis, haben wir mittlerweile auf LGBTQI fokussierte Recruiting-Initiativen, unternehmensweite Vorträge, Diskussionsrunden und Events. Unsere Aktivitäten gehen über die Community hinaus, um das gesamte Unternehmen mitzunehmen und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für das Thema zu sensibilisieren. Dafür ist Leadership-Engagement essentiell und das wird bei BCG sehr ernst genommen.
Das Ganze ist ja eine zutiefst private und intime Angelegenheit, die zunächst niemanden etwas angeht. Wie macht man etwas zum Thema, das eigentlich kein Thema sein darf?
Das ist die große Diskussion: Geht es um sexuelle Ausrichtung oder eher um Leben, Familie und Gesellschaft? Ein Beispiel: Am Montag stehen wir im Team zusammen. Die Kolleginnen und Kollegen erzählen private Dinge vom Wochenende, beispielsweise über Familie und Freunde. Ich muss für mich entscheiden, ob ich das auch von mir preisgeben möchte oder nicht. Wenn ich aber diese Wahlmöglichkeit erst gar nicht habe, weil mir mein Umfeld keinen Raum dafür bietet, in dem ich mich sicher und wohl fühle, ist das sehr limitierend.
Wie beginnt man im Unternehmen so ein Thema zu kommunizieren?
Es ist ganz wichtig, dass das Top-Management vorangeht und sagt: Das ist für uns ein wichtiges Thema. Wir stehen dahinter, dass sich jeder Mensch bei uns im Unternehmen frei entfalten kann. Führungskräfte aller Ebenen müssen dieses Thema als wichtig erachten, es im Daily-Business ansprechen und unterstützen. Nur so kann es funktionieren.
In der Wirtschaft fühlen sich Frauen und Männer offenbar noch nicht sicher genug, um sich in einer Top-Management-Position zu outen
Ist es eigentlich noch ein Problem, offen schwul oder lesbisch zu sein – nachdem es zum Beispiel in der Politik nach einem schwulen Außenminister, einem schwulen Oberbürgermeister kein Thema mehr zu sein scheint?
Ich denke, in der Wirtschaft ist es noch ein bisschen anders. Frauen und Männer fühlen sich offenbar noch nicht sicher genug, um sich in einer Top-Management-Position zu outen. Unter den Top-Führungskräften großer Unternehmen, sei es DAX oder M-DAX findet sich derzeit niemand, der geoutet ist.
Ich hatte selbst ein sehr schönes Erlebnis mit einem Kunden. Er fand meine Offenheit als LGBTQI-Führungskraft toll und meinte, es gebe ihm Hoffnung für seinen Sohn, dass auch er einen Arbeitgeber findet, bei dem er sich frei entfalten kann. Der Kunde hatte aus seiner Erfahrung wohl den Eindruck, dass das nicht überall in der Wirtschaft der Fall ist.
Auf lokaler Ebene hilft das Netzwerk bei der schnellen Integration mit regelmäßigen Office Events
Was für konkrete Hilfestellungen gibt es bei BCG?
Wir können es gerne einmal von Beginn an durchspielen: Um diverse Talente zu gewinnen, ist die BCG Recruiting-Kampagne unter dem Motto „Welcome to the group“ mit zielgruppenspezifischen Motiven und Events angelegt. Dazu gehört auch die spezielle Ansprache von LGBTQI-Talenten.
Angekommen im Unternehmen spüren die neuen Kolleginnen und Kollegen von ihrem ersten Tag an die offenherzige Atmosphäre bei BCG. Die „Group“ gibt jedem das Gefühl ein wichtiger Teil des großen Ganzen zu sein.
Auf lokaler Ebene hilft das Netzwerk bei der schnellen Integration mit regelmäßigen Office Events wie zum Beispiel Round Tables. Konkreter bieten wir formale Unterstützung im Karriereverlauf und Mentoring durch LGBTQI-Führungskräfte an, bei dem sich die Tandems informell und im privaten Setting zu persönlichen Herausforderungen, Bedenken und Vorstellungen austauschen können. Und wir veranstalten Netzwerk-Events, zu denen alle BCGlerinnen und BCGler eingeladen sind.
Auch über die Karriere bei BCG hinaus bleiben wir durch das Pride@BCG-Alumni-Netzwerk in Kontakt. Alumni werden ein Leben lang zu verschiedenen regionalen Events eingeladen und erhalten regelmäßige Updates zu Entwicklungen in der Community.
Was ist aktuell das größte Bedürfnis, der größte Wunsch der BCG-Mitarbeiter in dieser Sache?
Der große Wunsch aller ist, dass wir irgendwann kein Netzwerk mehr brauchen, weil es keine Rolle mehr spielt, ob LGBTQI oder hetero.
Was ist Ihr Ziel?
BCG soll der attraktivste Arbeitgeber der Community werden. In Diversity-Rankings wie dem „Corporate Equality Index“ der Human Rights Campaign Foundation erreichen wir bereits 100 Prozent und sind als „Best Place to Work for LGBTQ Equality“ ausgezeichnet. Wir sind dem Ziel also offenbar schon sehr nah.
Annika Zawadzki, Boston Consulting Group (BCG)
Annika Zawadzki ist Partnerin im Kölner Büro der Boston Consulting Group (BCG). Sie ist seit 2015 bei BCG und Kernmitglied in der Public Sector Praxisgruppe. Insgesamt hat sie über zehn Jahre Berufserfahrung in der Beratung des öffentlichen Sektors auf EU-, Bundes- und Landesebene. Sie verfügt über ein Diplom in Volkswirtschaften von der Universität Köln und einen Master in Management von der Universität Köln und der HEC Paris. Sie ist Co-Autorin mehrerer BCG-Studien, die sich dem Thema Diversity und LGBT+ widmen und wurde kürzlich im OUTStanding-Ranking unter den Top 100 Role Models LGBT+ Executives gelistet.