Hinter dem Tellerrand geht’s weiter: Warum auch kleinere Beratungen gute Arbeitgeber sein können und die richtige Wahl für Berufseinsteiger
Branchenübergreifend wird schon lange diskutiert, was für den Einstieg bei einem Konzern und was für den Einstieg bei einem Start-up spricht. In der Consultingbranche und den einschlägigen Foren werden zumeist müßige und ermüdende Streitgespräche darüber geführt, wer noch noch Tier1 ist und wer sich sogar in der Niederung Tier3 suhlt. Dabei sind solche Kategorisierungen weder klug noch nötig. Unter den Boutiquen gibt es viele Hidden Champions, die für manchen Einsteiger eine gute Wahl sein könnten.
Welche Vorteile könnte es haben, seinen Berufseinstieg in einer kleineren, aber hochspezialisierten Beratung zu planen? junior //consultant fand gute Gründe für Hidden Champions.
Agilität und kurze Wege
Ein Tanker ist sicher, er trotzt auch großen Wellen ohne unterzugehen, aber braucht sehr lange, wenn er anhalten oder die Richtung wechseln muss. Ein Schnellboot hingegen ist zwar labiler, aber deutlich beweglicher und schneller. Die riesigen Dinosaurier starben aus, die kleinen rattengroßen Säuger überlebten. Steigende Größe macht unverwundbarer, mit ihr geht meist jedoch der Verlust der Beweglichkeit einher – und der Fähigkeit, sich schnell an sich ändernde Bedingungen anzupassen. Ob man nun die Metapher aus der Seefahrt oder dem Tierreich bemüht: Dieses Prinzip gilt auch für viele Unternehmen, besonders in Multi-Krisen-Zeiten. Wer viele Interessen und Mitarbeiter unter einen Hut bekommen will, muss mit längeren Entscheidungsphasen und vielen Absegnungsrunden leben. Kleine Unternehmen können oft schneller und flexibler auf Veränderungen reagieren und sind agiler. Das ist sowohl in herausfordernden Zeiten wichtig, als auch attraktiv für Mitarbeiter:innen, die selbst schnell Prozesse anstoßen können und nicht in endlosen Entscheidungsrunden zermürbt werden.
Expertise
Kleinere Unternehmen sind normalerweise stark spezialisiert – und somit echte Experten in bestimmten Gebieten, die dort sogar die Branchenprimusse schlagen.
In der Studie „Die Hidden Champions des Beratungsmarktes” der WGMB (Wissenschaftliche Gesellschaft für Management und Beratung, siehe junior //consultant, Ausgabe 2-2018) ist sogar ein Kriterium zur Ausnahme in den Wettbewerb, dass das Unternehmen von seinen Kunden in mindestens einem Spezialgebiet besser bewertet wurde als McKinsey, BCG und Bain. Diese Unternehmen sind also keine Feld-, Wald- und Wiesenberatungen, sondern absolute Spezialisten. Wer also in einem bestimmten Gebiet zur Koryphäe werden will, ist wahrscheinlich bei einer Boutique besser aufgehoben, als bei einem der Dickschiffe der Branche.
Individualität
Auch wenn die Branche weicher geworden ist, stellte ein CEO eines der Top-Beratungshäuser im Gespräch mit junior //consultant klar: Natürlich gibt es Up-or-out und dieses Prinzip gilt immer noch. Entwicklung wird erwartet und insbesondere die Bereitschaft, zu führen und Umsatzverantwortung zu tragen. Das ist sicher nicht jedermanns Sache, aber keine große Beratung wird sich hier anpassen oder verbiegen.
Gleiches sollte auch kein Kandidat tun, sondern eher nach einer Alternative suchen, die zur Persönlichkeit passt. Gerade kleinere Beratungen werben explizit mit anderen Strukturen – und anderen, individuelleren Möglichkeiten der Karriereplanung.
Life und Work-Life
Viele große Unternehmen werben mit freier Wohnortwahl – was allerdings oft nur bedeutet, dass die Berater sowieso von Montag bis Donnerstag beim Kunden und damit im Hotel sind. Wo dann genau Homeoffice und das freie Wochenende stattfinden, spielt für das Unternehmen natürlich keine Rolle.
Allen Trends zu Trotz – ohne Reisen geht es im Consulting nicht, wer aber wenig reisen will, findet bei einem kleineren Unternehmen eher eine Nische – auch weil diese Unternehmen den Bewerbern andere Zugeständnisse machen müssen.
Ein anderer Punkt: Großer Name bedeutet zu 90 Prozent: München, Frankfurt, Düsseldorf oder Berlin. Wer privat anders leben will, muss pendeln – oder findet vielleicht eine spezialisierte Beratung in einer kleineren Stadt mit attraktivem Umfeld.
Personal fit
Auch wenn McKinsey und BCG 2020 über 1.000 neue Berater einstellen werden: Die Unternehmen selektieren die Bewerber so genau und gründlich wie eh und je. Und nicht jeder, der gerne zum Branchenprimus will, bringt die Voraussetzungen dafür mit. Jeder sollte sich ehrlich fragen: Passe ich dahin und passt das Unternehmen zu mir? Und vielleicht ist es auf Dauer schöner, irgendwo ein wichtiges Rad zu sein, als ein Rädchen, das kaum zu sehen ist.
Job & Bewerbung
Apropos MBB: Aus den Personalabteilungen der Branchengrößen ist gerade zu hören, man ertrinke fast in Bewerbungen. Die Wahrscheinlichkeit mit seiner Bewerbung gerade durchzukommen und am Ende erfolgreich zu sein, ist momentan bei kleineren Beratungshäusern deutlich größer – und das bei einem überschaubaren Bewerbungsprocedere.